TAG ZWEI. Es ist mein zweiter Tag. Ich habe nun schon eine Idee, wo ich hingehen muss, wenn mein Plan als nächsten Programmpunkt „MTT“ ankündigt. Sogar an die Tatsache, dass ich die Alterstruktur im ambulanten Reha- Zentrum gehörig durcheinander bringe, habe ich mich fast gewöhnt.
Beim Warten auf „Phy“ widme ich mich der Frage, ob es hier überhaupt möglich ist, die anderen Humpelbeine unverkrampft grüßen zu können, ohne direkt ein Gespräch aufgezwungen zu bekommen. Bei einer Dame erübrigen sich derartige Gedanken. Sie ist der Meinung, dass zwei gemeinsame Sitzungen im Bewegungsbad ein derartiges Vertrauensverhältnis begründen, dass ich eine ausführliche Version ihrer Krankenakte mit osteuropäischem Akzent erzählt bekomme. Entsetzlich, was die zierliche Frau für Schmerzen hat – sind wir nicht alle aus dem gleichen Grund hier? Immerhin befinden wir uns in höfischer Gesellschaft: Der Kaiser Franz Beckenbauer hat auch „höllische“ Schmerzen im Lendenwirbelbereich und drückt sich vor einer Operation, wie die Freizeit Revue weiß. Und überhaupt: Auch die Cousine von Gunter Sachs hat es schlimm erwischt. Genauer gesagt eine Schlammlawine hat sie und ihren Wagen erwischt. Das Goldene Blatt und Neue Revue berichten „exklusiv“ über den tragischen Tod. Bei solchen Berichten freut man sich natürlich doppelt über gute Nachrichten. Zum Beispiel, dass wenigstens der Teufelsgeiger André Rieu trotz permanenten Reisen und zahlreicher weiblicher Fans seiner Frau Marjorie treu ist. Mittlerweile ist meine redselige Begleiterin bei der Krankenakte ihrer Tochter angekommen. Warum schaut sie beim Reden immer mich an und nicht den Mann gegenüber, der sich demonstrativ wegdreht und das Kinn auf seine Krücken legt? Wahrscheinlich waren die beiden noch nicht zusammen im Wasser!
Für mein freundliches Nicken werde ich dann endlich belohnt, besser: erlöst. Einfach nur rumliegen, eine halbe Stunde unter der Wärmelampe liegen mit Saugnäpfen auf dem Rücken, die kleine Stromstöße angeben. Die gleichmäßige Pumpen des Geräts ist eine wahre Wohltat nach der Plauderei. Ein fieses Piepen reißt mich aus der Entspannung heraus und scheucht mich in die Mukkibude. Falsch, in einer Mukkibude lehnen weniger Krücken an den Wänden und der Altersschnitt wird auch unter 70 liegen. Immerhin stehen hier Geräte herum, wie sie auch in Fitnessstudios zu finden sind. Nach vier Minuten und 23 Sekunden auf dem Fahrrad erschrecke ich: Meine alte Bekannte ist auch auf dem Weg zu den Rädern. Instinktiv trete ich schneller in die Pedale, komme aber natürlich kein Stück voran. Doch alles wendet sich zum Guten; sie setzt sich auf ein Gerät in der Reihe vor meinem – ich sitze in der hinteren Reihe ganz außen – so dass ein Gespräch unmöglich ist. Stattdessen wendet sie sich ihrem gegenüber auf der Beinpresse zu, der die Frage nach dem Befinden mit einem äußerst einfallsreichen „Muss ja!“ beantwortet. Im Abgang zu dem Sitzbällen folgt noch ein „Dann mal an die Arbeit“, was zu meinem Unverständnis für Erheiterung auf den vorderen Plätzen sorgt.
Hoffentlich habe ich wenigstens beim Mittagessen meine Ruhe. Ein neuer Versuch, Begrüßung: „Herr Lohmann? Für Sie gibt es heute Hackbraten; ich hoffe, dass ist in Ordnung. Für morgen können sie hier auswählen, einfach in die Liste eintragen.“ Klare Ansage, na dann. Mit Blick auf den Parkplatz futtere ich fleißig vor mich hin, bis ich von einem „Ist kalt geworden“ aufgeschreckt werde. Meine Nachbarin, die ihre weißen Haare unter einer pechschwarzen Färbung zu verstecken versucht, eröffnet so die zweite Erzählstunde für mich. Und schnell wird mir klar, warum es gerade Hackbraten gibt – „Ich kann ja nicht mehr beißen“. Na dann hoffe ich, dass die Fruchtstücke im Apfelkuchen von ihrer Tochter heute Nachmittag nicht zu groß werden. Der Hackbraten schmeckt wirklich gut, aber der Appetit lässt nach bei dem Anblick des Hausmeisters, der aus seinem Auto steigt mit einem brandneuen Toilettendeckel „weiß/ soft“ unter dem Arm. Noch schnell einen Apfel hinterher und schon geht es weiter. Mein Plan sagt mir nur noch „KG“ um 13 Uhr und „Arzt“ um 14 Uhr voraus. Und 13 weitere Tage.
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