
TAG ZEHN. Glücklich der Reha, dem Bewegungsbad und den Zeitschriften Gala, Neue Revue oder Das goldene Blatt entflohen zu sein setze ich mich zu Hause mit einem Tee in die Küche und versuche aus einem großen Stapel Zeitungen etwas Brauchbares herauszufischen. Völlig unschuldig greife ich die gestrige Ausgabe der Bild am Sonntag. Soll das schon wieder ein Zeichen für mich sein? Auf übernatürliche Zeichen wollte ich ja eigentlich nicht mehr achten, Bruce Springsteen war in der Hinsicht wenig aufbauend. Trotzdem, nach fünf Stunden in der Reha ist man froh über jede Ablenkung. Ich mache einen neuen Versuch machen und probiere es mit den Sternen. Zwar keine „Stars und Sternchen“, wie sie in Bunte zu finden sind, aber ein Horoskop. Das passt auf jeden Fall bestens in die Reha-Umgebung als Springsteen, noch dazu wenn es sich um ein Sporthoroskop handelt. Doch schon beim ersten Satz kommen mir Zweifel: „Der Löwe braucht den Wettkampf wie die Luft zum Atmen“. Handelt das von mir? Naja, weiterlesen. Der Löwe zieht „exklusive Sportarten“ vor: Golf, Segeln, Polo; die Skepsis blieb bestehen. Immerhin, zu meiner Beruhigung steht auch Skifahren in der Liste. Aber dann folgt ein Satz, der meine Einstellung zum Aberglauben der Horoskope grundlegend ändern soll: „Für den Alltag hält er sich mit einer speziellen Gymnastik fit, zwar nicht gern, aber aus tiefster Überzeugung, dass sonst der Rücken schmerzt.“ Wie wahr, wie wahr. Da hat mir BamS aus der Seele gesprochen – die Frage, ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen ist lasse ich zunächst außer Acht, um weiterzulesen. „Im Fitness-Center nimmt er den Kampf mit den Maschinen auf. Überflüssig zu sagen, wer dabei gewinnt.“ Jawohl, 30 Kilo stemme ich am Seilzug – und wenn ich wollte könnte ich noch viel mehr! Die Analyse der BamS überzeugt mich vollends. Ich lese begeistert weiter: Der Bereich Sport ist abgehakt, nun geht es an die Voraussagungen. Ich wachse mit meinen Aufgaben und kann mich langsam an neue Herausforderungen wagen, heißt es zum Thema Beruf. So direkt hätte ich das Stemmen von Gewichten nicht als Beruf betrachtet, aber wenn ich es mir recht überlege verbringe ich im Moment eine ganze Menge Zeit damit. Jetzt aber mal zu den wirklich wichtigen Themen: Gesundheit. Mir wird versprochen, dass ein altes Zipperlein ausheilt – das wird auch höchste Zeit! Und die Liebe? „Ein gemütlicher und inniger Wochenbeginn“. Ja, um Punkt zehn Uhr wurde ich von der Taxifahrerin abgeholt, die extrem viel redet, dafür aber wenig verständlich ist. Ein Glück, dass die gute Frau Günther noch mit im Auto saß, wir haben schon eine richtige Fahrgemeinschaft gebildet! Das geht so weit, dass ich Frau Günther im Bewegungsbad schon die mal helfe, wenn sie mit den Schaumstoffnudeln überfordert ist. Im Gegensatz zu Frau Günther wirkt eine andere alte Dame im Bad eher unterfordert, während sie, auf der Nudel wie auf einem Schaukelpferd reitend, durch das Becken schiebt. Die unbedarfte Äußerung der Pflegerin über die Lautstärke im Bad hat sie anscheinend als Herausforderung aufgenommen. Der eigentlich harmlose Satz „Ist ja ganz schon ruhig hier heute“ mag für den ungeschulten Hörer eher harmlos klingen, zumal auch nur vier Personen im Wasser herumhampeln. Wenn sie nur geahnt hätte, was sie mit ihrem Satz auslösen würde. Die Reiterin beginnt sofort diesen konzentrierten Zustand zu ändern und berichtet aus ihrem, dem Leben ihrer gesamten Familie und überhaupt zu erzählen. Die Gründe, warum sie nie richtig schwimmen gelernt hat habe ich leider ebenso vergessen, wie das Jahr, indem sie die Schule gewechselt hat, jedenfalls gelangt sie in ihrem Vortrag auch irgendwie zum Amoklauf von Emsdetten. Über die Tragik dessen sind wir uns alle einig, der Herr Legros, seit 28 Jahren Polizeibeamter, kann sogar schon ein präzises Bild der gesellschaftlichen Zustände beschreiben: „Jetzt haben wir entgültig amerikanische Zustände!“ Aufgrund einer gewissen Betroffenheit und generellen Unlust zur vernünftigen Diskussion verkneife ich mir die Frage nach dem Maßstab der „amerikanischen Verhältnisse“. Frau Kolpig ist gedanklich sogar schon bei der Prävention. Mit Killerspielen hält sie sich gar nicht auf, sondern betont, dass sie ja bei Computern immer schon skeptisch war. Wenn das keine Lösung ist! Das allgemeine Misstrauen gegenüber der medialen Berichterstattung mit allen Gerüchten über Motive und Tathergang wird von allen Seiten mit einem vielsagenden „Man weiß ja nie“ ausgedrückt. Wunderschön, wie jeder diesen Satz wiederholt um schon beim Sprechen fast schon vergessen hat, worum es eigentlich geht.
Beim Mittagessen werden dann wieder seichtere Themen angesprochen. Frau Kolpig und Frau Busemeier können sich eine geschlagene Viertelstunde über die Wetterlage auslassen, während ich einer ähnlich unterhaltsamen CD lausche. Hits wie „Spaniens Gitarren“, „Lady Sunshine und Mister Moon“ oder „Liebling, mein Herz lässt dich grüßen“ reihen sich da aneinander. Da bin ich doch froh und erleichtert, wenn ich nach der Taxifahrt mit Frau Günther nun in der Küche sitze und die BamS auf den Haufen mit Altpapier werfen kann. Ein letzter Blick auf das Horoskop für Dienstag: „Es prickelt permanent“. Noch fünf Tage.
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