TAG SIEBEN. Nun ist es soweit: Ich habe auch die letzte Fahne, die mich zumindest subjektiv von den anderen Patienten abgrenzt, eingeholt. Ich lasse mich jetzt mit dem Taxi zur Reha und zurück bringen! Es war immer ein beruhigendes Gefühl nach fünf Stunden warmer Bäder, Wartezeiten und Mittagessen mit einer anderen Generation sich mit dem Fahrrad wieder unter die Studenten zu mischen. Erst moglte ich mich unter die Mediziner, dann die FH- Studenten und dann war ich auch schon wieder auf der Promenade und bin nicht weiter aufgefallen. Damit ist jetzt Schluss! Ich gehe aus der Haustür, steige ins Taxi und bin sofort einer von „denen“. Zum Beispiel der Seebär Koslowski. Mit dem Auge muss er bald wieder nach Münster-Hiltrup zur weiteren Untersuchung. Meine Sorgen, dass ihn die vielen Arztbesuche nerven könnten, kann er sofort zerstreuen – ihm gefällt das prima, er hat auch sonst nicht vor!
Der Mann hat es mir richtig angetan. Und das obwohl wir noch gar nicht zusammen im Bewegungsbad waren! Dafür radeln wir jetzt gemeinsam, oder besser nebeneinander durch den Fitnessraum. Während ich unbedarft drauf los trete muss Herr Koslowski erst einmal sitzen. Wenn es nach einer Verschnaufpause dann losgehen soll wird der Coach mit einem charmanten „Ey“ herbeigerufen. Etwas irritiert von dem Befehlston stellt der Aufpasser in seiner Sportuniform – Warum eigentlich, wenn er doch sowieso nur den anderen bei der Arbeit zuguckt? – das Fahrrad für Herrn Koslowski passend ein. Dieser gibt ihm anstatt eines Dankeschöns nur ein weiteres schneidiges „Ey“ mit, gefolgt von der Feststellung „Hier stimmt was nicht!“, alles natürlich auch vom anderen Ende des Raumes bestens zu verstehen. Zwischen Nuscheln und Gebrüll scheint es in seiner Stimme wenig Spielraum zu geben. Der Aufpasser dreht sich lächelnd um und klärt den Brüllaffen über eine kleine Gewichtssteigerung auf. Soviel Humor hätte ich dem Pfleger gar nicht zugetraut; zuvor ist er mir nur bei dem betont lässigen Handschlag mit den wenigen aufgefallen, die so aussehen, als wenn sie nach der Behandlung auch wieder Sport treiben wollen.
Mein Humor scheint sich jedoch auch der Umgebung anzupassen, denn wie gestern kann ich mich immer noch sehr über das Hüpfen von Herrn Koslowski freuen. Nach etwa zehn Hüpfern auf den Gymnastikball mit den Händen an der Sprossenwand braucht er aber auf die Anstrengung erst einmal ein paar kräftige Züge Asthmaspray! Ich nicke ihm freundlich zu und gehe zur nächsten Übung, in direkter Umgebung einer weiteren Badebekanntschaft.
Da ist es schon wieder, das Problem des ewigen Grüßens. Im Laufe eines Tages in der Reha läuft man ständig den gleichen Leuten über den Weg: Auf dem Weg aus der Umkleide zur „Phy“, dann zurück zur „KG“ und weiter zur „MTT“. Im Bewegungsbad, beim Mittagessen, im Wartebereich, wo sowieso alle grüßen, die vorbeikommen. Zusätzlich grüßen die Pfleger konsequent den ganzen Tag hindurch. Und weil alle so oft und so viele Leute Hallo sagen, verliert man den Überblick und nickt aus lauter Hilflosigkeit den gleichen Leuten dreimal freundlich zu. Dem muss man doch ein Ende setzen, und ich fange jetzt damit an! Ich gehe langsam auf das nächste Gerät zu, setze den Tunnelblick auf und werde an der Station mit einem freundlichen Hallo begrüßt. Ich gucke hoch, versuche bis zuletzt nichts zu sagen und dann rutscht mir doch ein kleines Hallo heraus. Ich bin eindeutig schon zu lange hier!
Aber auch die Verabschiedung ist ein Thema für sich. Ein „Tschüß“ beim Verlassen der Umkleide ist ja noch im Rahmen, aber muss das dann auch noch nach dem Bewegungsbad sein? Und überhaupt, man schlürft doch in spätesten einer halben Stunde wieder über den Flur und ist sich nicht ganz sicher, ob man die Damen mit Gehilfen oder die Herren auf Krücken ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen überholen darf.
Zumindest die Lösung des Verabschiedungsproblems erfahre ich beim Mittagessen. Nur nebenbei: Ich habe langsam den Verdacht, dass Heike, die das essen aus dem Bistro nebenan holt und serviert, extra große Portionen für mich bestellt. Oder liegt es nur daran, dass meine Leidensgenossinnen entweder einen Salat oder nur einen Kinderteller bestellt haben? Egal, irgendwann bin ich mit meinem Curryhühnchen und der Extraportion Reis fertig und will mich auf dem Weg machen, da ist eine Verabschiedung fast unumgänglich. Für einen großen Abschied reicht es aber noch nicht, immerhin habe ich noch drei Stunden lang die Chance, die Leute, von denen ich mich verabschiede, auf dem Flur wiederzutreffen. Heike, ungefähr 50 Jahre und mit einem extrem breiten Berlinerisch ausgestattet, ist mir in der Hinsicht um längen voraus: „Ick sach ma’ Tschüßchen!“ Ditte sach ick ooch, steige ins Taxi und vor meiner Haustür bringt mir der Taxifahrer dann noch eine neue Vokabel bei: „Bis Andernmal“! Da bleibe ich doch lieber beim „Tschüßchen“. Noch acht Tage.
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